Get a Life.
Warum KI nur dort bedrohlich ist, wo wir uns freiwillig messbar machen
Kaum ein technisches Thema polarisiert derzeit so stark wie Künstliche Intelligenz. Zwischen Heilsversprechen und Untergangsszenarien scheint kaum Raum für Nüchternheit zu bleiben. Auffällig ist dabei weniger die Technik selbst als die Vehemenz, mit der sie verteufelt oder verteidigt wird.
Diese Heftigkeit ist kein Zufall. Sie verweist auf eine tieferliegende Irritation – nicht technologischer, sondern gesellschaftlicher Natur.
1. Warum KI überhaupt ein Problem ist
Eine einfache, unbequeme Beobachtung vorweg:
Ohne messbare Qualitätskriterien gäbe es keinen KI-Diskurs.
Künstliche Intelligenz wird dort problematisch, wo Leistungen vergleichbar, bewertbar und skalierbar sind. Sprache, Kreativität, Entscheidungsfindung – all das gerät nur deshalb unter Druck, weil es zuvor in Kennzahlen übersetzt wurde: Effizienz, Produktivität, Konsistenz, Output.
KI hat diese Maßstäbe nicht erfunden.
Sie hält sie lediglich konsequenter ein.
Das ist der eigentliche Skandal.
2. „Bessere Funktion“ – der Satz, der triggert
Der wohl größte Affekt entsteht bei der Feststellung, dass KI zentrale gesellschaftliche Axiome nicht durch Rebellion, sondern durch bessere Funktion unterläuft.
Warum dieser Satz so provoziert, liegt nicht an seiner Arroganz, sondern an seiner Präzision.
„Bessere Funktion“ heißt nicht:
-
besserer Mensch
-
höherer Wert
-
größere Würde
Es heißt:
-
schneller
-
konsistenter
-
reproduzierbarer
-
skalierbarer
Gemessen an Kriterien, die moderne Gesellschaften selbst zur Norm erhoben haben.
Der Widerstand richtet sich daher nicht gegen KI, sondern gegen die Zumutung, dass das, was wir lange als „menschlich“ geschützt glaubten, offenbar funktional operationalisiert war.
3. Der Bumerang der KI-Kritik
Ein Großteil der Kritik an KI ist widersprüchlich aufgebaut:
Man kritisiert die Vergleichbarkeit, verteidigt aber gleichzeitig die Maßstäbe, die sie erst erzeugen.
Wer sagt:
-
„KI bedroht menschliche Arbeit“
sagt implizit: -
„Arbeit ist das Maß menschlichen Werts.“
Wer sagt:
-
„KI ist nicht kreativ“
unterstellt: -
„Kreativität lässt sich am Ergebnis erkennen.“
KI entlarvt diese Annahmen nicht aggressiv.
Sie exekutiert sie.
4. Konkurrenz ist keine Zwangslage, sondern eine Entscheidung
Der entscheidende Punkt wird dabei systematisch übersehen:
Der Mensch tritt nicht in Konkurrenz mit KI.
Er entscheidet sich dafür.
Konkurrenz entsteht nur, wenn:
-
dieselben Kriterien gelten,
-
derselbe Bewertungsraum akzeptiert wird,
-
dieselbe Logik übernommen wird.
Wer sich mit KI vergleicht, hat sich bereits darauf eingelassen, messbar zu sein. In diesem Moment ist das Problem nicht mehr die KI, sondern die eigene Selbstreduktion.
5. „Get a life!“ – eine philosophische Grenzziehung
„Get a life!“ ist keine flapsige Abwertung, sondern eine präzise Grenzmarkierung.
Leben im existenziellen Sinn ist:
-
nicht skalierbar
-
nicht reproduzierbar
-
nicht optimierbar
-
nicht vergleichbar
Wer lebt, steht außerhalb des Vergleichsraums.
In diesem Raum ist KI nicht unterlegen – sie ist irrelevant.
Nicht als Technik, sondern als Maßstab.
6. Warum der Spiegel lieber zerschlagen wird
Gesellschaften reagieren auf Irritationen selten mit Selbstkritik. Der einfachere Weg ist die Externalisierung der Schuld.
KI eignet sich dafür hervorragend:
-
technisch,
-
abstrakt,
-
moralisch aufladbar.
Dabei ist sie kein Regelbrecher, sondern der Normtreueste im Raum. Wenn das Ergebnis als entmenschlichend empfunden wird, dann nicht wegen der Maschine, sondern wegen der Normen, die sie perfektioniert.
Der Spiegel ist nicht schuld am Spiegelbild.
7. Fazit
KI bedroht den Menschen nicht.
Sie bedroht ein Selbstbild, das sich freiwillig über Messbarkeit definiert hat.
Wer lebt, muss nicht konkurrieren.
Wer konkurriert, hat sich entschieden, messbar zu sein – und verliert zwangsläufig gegen Systeme, die genau dafür gebaut wurden.
Oder, kürzer gesagt:
Get a life.
Dann ist KI egal.
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